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Hausmannskost Hausmannskost
Erzählungen. edition innsalz Aspach, 2006

Hausmannskost

"Franz, kommst jetzt endlich? Zum Essen wirds's!"
Langsam stützte er seine Hände auf die Oberschenkel, richtete seinen Oberkörper auf und erhob sich von der Sonnenbank vor seinem alten Haus. Schlurfend ging er hinein, durch den kleinen Vorraum geradewegs in die Ess-Stube.
"Was gibt's denn heut?"
"Etwas ganz Gutes. Ich hab da von der Frau Doktor Obergewandtner ein neues Rezept bekommen. Weiß auch nicht, wo sie es her hat, aber ich hab's gleich ausprobiert. Sie hatte es in der Handtasche dabei, als ich sie zufällig beim Einkaufen getroffen habe. Das riecht schon so lecker, dass ich selbst gespannt bin, wie es schmeckt." Sie fuhr sich an den Schläfen zweimal durchs Haar, wischte ihre Hände an der ausgewaschenen und dennoch fleckigen Schürze ab, holte den Topf vom Herd und stellte ihn mitten auf den gedeckten Tisch.
Feierlich nahm sie den Deckel von dem großen Gefäß und nachdem sich der erste Dampf gelichtet hatte, warf er einen argwöhnischen Blick in dessen Inneres.
"Ja, was soll denn das sein? Das sieht ja widerlich aus! So bunt! Als wäre ein Farbenkasten in den Topf gefallen. Und du meinst im Ernst, dass man das essen kann? Ich glaube, ich habe gar keinen Hunger."
"Geh, jetzt sei nicht so! So viel Arbeit war das und so bemüht habe ich mich. Jetzt musst schon erst probieren." Und sie füllte seinen Teller randvoll an, wie sie es gewohnt war.
Fast ohne den Löffel mit den Lippen zu berühren, kostete er von dem unbekannten Gericht, und noch bevor seine Geschmackszellen die Information hätten weiterleiten können, verzog er angeekelt sein Gesicht.
"Geh, übertreib nicht so! So gesund wär's, grad für dich."
Ihre Hände fuchtelten nervös an der Tischkante herum.
Lautstark landete sein Löffel auf dem Tisch während er sich samt seinem Stuhl vom Tisch wegschob. Bodenbretter knarrten.
"Wie schmeckt denn das? Das kann doch kein normaler Mensch essen. So was habe ich ja überhaupt noch nie gehabt, einen so seltsamen Geschmack im Maul. Du mit deinem modernen Schund. Ich geh jetzt ins Wirtshaus. Wenn ich Glück habe, bekomm ich noch ein Menü, ein ordentliches. Dass du mir halt nicht verreckst an dem Dreck."
Er stand auf, nahm seinen Hut und ging.

"Grüß dich, Resi. Ich glaub, ich muss heut bei dir essen. Jetzt hat die Meine auch noch das Kochen verlernt. Gibt's noch ein Menü?" Während er sich an den großen Stammtisch direkt neben der Tür setzte, legte ihm die Wirtin schon die Tageskarte auf den Tisch.
"Wo sind denn die anderen heute?", fragte er sie und nahm indessen seinen Hut vom Kopf.
"Die werden gleich kommen. Wenn du also schnell bist jetzt, brauchst du nachher nicht so lange zu warten."
Sie stieg von einem Fuß auf den anderen.
Er nahm den Zettel in die Hand, studierte zuerst die drei verschiedenen Preise, die am rechten Rand abgedruckt waren, und sah sie dann erwartungsvoll an.
"Was empfiehlst du mir denn?"
Sie riss ihren Blick von der Wanduhr los, zog die Schultern hoch und gleich die Mundwinkel herab.
"Weisst eh, Franz, bei mir ist alles gut. Alles echte Hausmannskost. Aber der Rindsbraten ist schon sehr gut. Butterzart. Da brauchst du nicht mal mehr zu kauen."
Er schaute wieder auf den Zettel in seiner Hand, betrachtete zuerst sie sehr eindringlich und dann die rechte Spalte auf der Karte. Dann lachte er laut und es klang sehr zerrissen.
"Weisst was, Resi, ich warte noch. Ich habe ja genug Zeit und dann kann ich zusammen mit den anderen essen. Da schmeckt es doch gleich noch besser."
Er hatte seinen Satz noch nicht beendet, als sich die Tür öffnete und zwei junge Burschen in Arbeitsoveralls das Wirtshaus betraten. Sie gingen in die hintere Ecke der Gaststube, wohin sich nun auch die Wirtin mit ihrer Tageskarte aufmachte.
Aufmerksam verfolgte Franz die Bestellung. Währenddessen öffnete sich erneut die Tür.
"Ja, grüß dich, Franz! Was machst du denn hier? Geh, rück doch noch ein Stück weiter auf der Bank. Ich sitze gern da am Eck, weil ich sowieso gleich wieder raus muss."
"Ich sage dir, ich habe heute so einen Gusto auf einen deftigen Braten mit Knödel und bei uns gab's heute nur so etwas Sonderbares, was weiss ich, was das war, und in Gesellschaft ist es ja auch gleich viel lustiger. Du, wer kommt denn sonst noch zum Menü-Essen?"
Er schaute Alois an, der seinerseits nach der Wirtin Ausschau hielt. "Wo bleibt sie denn jetzt? Ich möchte doch bestellen. Hab doch keine Zeit. Hm, der Sepp ist auch fast jeden Tag zum Mittagessen hier. Resi, wo bleibst du denn?"
Wieder öffnete sich die Tür und eine elegant gekleidete Frau mittleren Alters betrat die kleine Gaststube. Eine extravagante Handtasche hing von ihrer Schulter. Franz rammte seinen rechten Ellbogen in die gut gepolsterten Rippen von Alois.
"Da, schau, der habe ich es zu verdanken, dass ich hier sitze."
Die Wirtin kam zum Stammtisch gehastet, Block und Kugelschreiber in der Hand, und noch bevor sie wirklich vor dem Tisch zum Stehen kam, fragte sie: "Wisst ihr schon, was ihr wollt?"
"Na endlich!" Ein erleichtertes Lächeln verdrängte den besorgten, düsteren Ausdruck von Alois' Gesicht. "Du, Resi, mir bringst du bitte das halbe Hendl mit Pommes."
Alois drehte sich demonstrativ zur Tür hin, musterte die Frau, die immer noch unentschlossen da stand, völlig ungeniert von Kopf bis zu den Absätzen, und rief ihr zu: "Setz dich doch zu uns! Wir beißen schon nicht."
"Ich nehme das Gleiche wie der Alois." Aufgebracht zischte Franz seinen Wunsch der Wirtin entgegen, um sich dann ebenfalls mit weit aufgerissenen Augen in Richtung Tür zu wenden.
"Nein, danke. Wissen Sie, ich erwarte noch jemanden. Aber dennoch, herzlichen Dank für die Einladung." Als wollte sie ihre Aussage unterstreichen, zog sie einen Kalender aus der Handtasche und warf einen kritischen Blick hinein.
...

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