Literaturpreise
Doch die Sprache ist die selbe

Sie sprechen meine Sprache, doch oft scheinen sie micht nicht zu verstehen.

Fremd sind wir uns doch irgendwie. Öfter sagte schon jemand zu mir: "Deutsche und Österreicher - das ist doch wie Brüder!"

Ich verstand das nicht. Ich habe kein Brüder, nicht hier und nicht dort.

Vieles ist anders hier, obwohl das meiste auf den ersten Blick fast gleich erscheint. Wahrscheinlich empfindet man die Unterschiede noch mehr, wenn man eine Frau ist, die von einer deutschen Großstadt auf das österreichische Land zieht. Wenn man gewohnt war, selbständig alle wichtigen Angelegenheiten zu erledigen und hier dann langsam bemerkt, dass scheinbar keiner es für möglich hält, dass man einen Anruf entgegennehmen und eine bestimmte Information an seinen Mann weitergeben kann. Lieber rufen die Leute fünf mal an um den Gatten zu sprechen - als könne ich mir keine drei Sätze merken und sie ihm zu einem späteren Zeitpunkt korrekt ausrichten.

Frau - ist ja doch etwas geistig minderbemitteltes. Deutsche Frau - was will sie eigentlich hier?

Schriftdeutsch habe ich mit ihnen gesprochen, damit sie keine Probleme mit meinem rheinländischen Dialekt haben. So lange, bis diese Kindergartenhelferin ihre Information an mich mit "Du verstehen?" beendete. Jetzt nehme ich es mit dem Schriftdeutsch auch nicht mehr so genau.

Das sind so kleine sprachliche Unterschiede für mich hier als - ja, als was? Als Fast-Ausländer oder wie bezeichnen sie mich eigentlich? Als grenzüberschreitende "Zuagroaste"? Denn wenn ich mich selbst öffentlich als Ausländer bezeichne, widersprechen sie alle vehement und sagen, so könne man das nicht sehen. Sehen kann man es wirklich nicht, aber fühlen kann man es und das sehr deutlich.

Andere feine Unterschiede gibt es natürlich auch noch. Oft schon habe ich von sehr mysteriösen Papieren gehört, die einem hier zu fast allem einen Zugang verschaffen können. Derartige Papiere sind mir in meinem Geburtsland nie untergekommen. Auch hier habe ich noch nie eines davon gesehen und doch höre ich immer wieder von der Macht, die sie besitzen. Parteibuch wird es genannt. Sonderbare Dinge scheint es hier zu geben und scheinen hier zu passieren, die ich nciht kenne und auch nicht verstehe. Mit diesem Parteibuch kann man anscheinend - jedenfalls nach dem, was ich so gehört habe - leichter die Hürden beim Hausbau überwinden. Man kann damit angeblich auch berufliche Aufstiege erreichen, von denen ich immer glabute, sie hingen rein von der beruflichen Qualifikation ab. Und bei fast allen anderen Unannehmlichkeiten scheint das - je nach Gemeinde und Sitzverteilung - gerade richtige Parteibuch allerlei Unmögliches zu ermöglichen.

Man sagte mir, ich müsse meine Staatsbürgerschaft aufgeben, wenn ich die österreichische erhalten wolle. In der Regel jedenfalls wäre das so. Außer, ich hätte Vitamin B. Diesen offenbar spezifisch gebrauchten Ausdruck ließ ich mir eindeutschen und stellte leider fest, dass ich keines hatte. Woher sollte ich auch Beziehungen zu besonders hochgestellten Persönlichkeiten haben? Und wieso dürfen auch nur gute Freunde von solchen Persönlichkeiten sich zweier Länder angehörig fühlen? Auch das verstehe ich nicht.

Es liegt aber wirklich nicht an der Sprache. Auf beiden Seiten kann die Sprache nicht der Grund des Unverständnisses sein. Auch ich werde nicht verstanden, wenn ich für eine Moral kämpfe, wenn ich mich dagegen wehre, dass schon Kinder sich gegenseitig ausnutzen und belügen. Das sind eben Kinder, sagen sie dann, und ich will nicht glauben, dass solche Verhaltensweisen einfach mit in die Wiege gelegt werden. Aber sie schweigen lieber, lassen die Kinder sich gegenseitig bespucken und hintergehen und gehen lieber, anstatt etwas zu sagen, in die Kirche. Und auch davon gibt es hier nur eine. In der Stadt gab es mehrere und man konnte sich aussuchen, welche Reden einen wirklich berührten und wessen Worte einem wirklich etwas sagten. Das geht hier nicht.

Also bleibe ich zu Hause. Und schon wieder ein Stein des Anstoßes. Warum feiert die nicht mit uns den Gottesdienst? Ist die vielleicht sogar noch Jüdin? Und wieder verstehe ich nicht. Sie reden nicht mit mir, aber ich soll mit ihnen Gottesdienst feiern. Soll mich fremd und einsam dazwischen setzen, damit sie mich spüren lassen können, wie fremd ich hier bin. Ja, die braven Katholiken. Oft scheint mir, sie würden jeden, der sich nicht gerne freiwillig wie sie in der Kirche langweilt, am liebsten steinigen - wegen der Nächstenliebe, versteht sich.

In der deutschen Stadt war das anders. Da gab es katholische und evangelische Kirchen und auch Moscheen, und es hat niemnaden interessiert, wo du hineingehst und ob du überhaupt hineingehst. Dort war das einfach kein Maßstab, an dem man einen Menschen messen kann. Aber hier ist es der erste und größte. Ist das wirklich wichtig? Ist nur ein guter Katholik ein guter Mensch? In der Stadt saßen katholische und evangelische Pfarrer zusammen und man hätte keinem ansehen können, wer der bessere ist. Und sonderbar, ausgerechnet die, die sicher jeden Sonntag in der Kirche sind und die am lautesten singen, schimpfen am meisten über mich - obwohl sie mich nicht kennen. Und genauso laut schimpfen sie auch über andere, die sie kennen und die ebenfalls jeden Sonntag in der Kirche sitzen.

Kennen kann mich hier keiner, weil ja niemand mit mir redet. Über viele Ecken habe ich erfahren von dem Geschimpfe über mich und von den guten Katholiken, von den braven Lautsingern. Dann bin ich ausgetreten aus dieser Kirche, weil ich dieses Gebot nicht verstehe. Dadurch wächst natürlich wieder die Kluft zwischen uns um ein erhebliches Stück, denn wer hier nicht den gleichen Glauben hat, der wird sowieso nicht akzeptiert und schon auch mit Mißtrauen beschenkt.

Und so kommen zu den kleinen sprachlichen und gesellschaftspolitischen auch noch die kleinen religiösen Unterschiede und eine Integration wird immer unmöglicher werden, obwohl wir doch alle fast gleich sind und uns sogar verständigen können. Es ist ein ewiger Kreislauf, ein Strudel, über dessen Richtung ich mir noch nicht ganz sicher bin. Sitzt du nicht im Wirtshaus oder in der Kirche, lernst du keinen kennen. Kennt dich keiner, rätseln alle über dich und dein Leben, und die Phantasie geht mit ihnen durch, so sehr, dass sowieso keiner mehr etwas mit dir zu tun haben will, denn wer weiß schon, was das für eine ist. Und mit diesem Gefühl im Bauch sitzt man auch sehr ungerne und daher selten im Wirtshaus oder in der Kirche. Und so beißt sich die Katze in den Schwanz.

So viele fremde Sitten hier. Was sind eigentlich Brüder? Brüder sind Menschen, die man kennt, die man versteht oder auch nicht, aber die man zumindest akzeptiert. Sicher, mit dem richtigen Parteibuch hätte ich hier vielleicht auch Brüder. Aber irgendwie mag ich gar keine mehr. Ich denke an Kain und Abel und gewöhne mich lieber daran. Es ist sogar auf eine gewisse Weise befriedigend, wenn man keinen Traditionen mehr verpflichtet ist, wenn man nicht mehr das Gefühl hat, von einem Land abhängig zu sein, weil man es Heimat oder Mutter nennt. Jedes Kind löst sich von seinr Mutter los. Das ist ein normaler und gesunder Prozess und doch versucht man über all die Menschen moralisch an ihr Geburtsland zu binden, so, als gäbe es kein schöneres und kein besseres.

Und dann denke ich mir oft, wie muss es jenen hier ergehen, denen man es sofort ansieht, dass dies nicht ihr Ursprungsland ist. Wenn ich mich schon durch die paar hundert Kilometer und die kleinen sprachlichen Abweichungen hier so oft fremd fühle, als wäre ich kein Mensch unter Menschen, wie muss es dann erst denen ergehen, die der liebe Gott oder wer oder was auch immer, mit dunklen Haaren und Bärten und dunkler Haut ausgestattet hat. Oder denen, die sich - aus welchen Gründen auch immer - in Schleier verhüllen. Man hört ja auch das Gerede über diese Menschen. Und bei diesen Reden fühle ich mich wieder einmal so unbeholfen, denn ich kann auch das wieder nicht verstehen, diesen Hass, den man heraushört aus "die Verschleierten" oder "die Kanaken".

Dann schaue ich sie mir an, diese anderen, und kann einfach nichts entdecken als Menschen. Oft finde ich sogar diese Schleier und Tücher direkt schön und denke, dass hier Sympathien und Urteile zumindest nicht von der Makellosigkeit des Körpers oder der Schönheit des Gesichtes abhängen können so wie es in unserer Kultur leider meist der Fall ist. Und das finde ich dann eigentlich gar nicht schlecht. Und völlig unverständlich ist mir dann auch die Abneigung der Nichtsüdländer gegen den südländischen Teint bei Arbeitskollegen, wo sie doch in ihren Urlauben alles dafür geben, um südländische Frauen oder sogar Babys bumsen zu dürfen. Gibt es denn einen Unterschied zwischen weiblichem und männlichem Südländischem?

Ich denke, man müsse sie so zeichnen, dass man auch ihnen auf den ersten Blick ihre Andersartigkeit, ihre Abartigkeit ansieht. Das wäre gerecht.

Dann macht es mich wieder traurig, dass sie auf allen Seiten wüten, dieser Hass und diese Wut. Das fällt mir immer dann auf, wenn Bekannte erzählen, die in anderen Ländern waren, dass man da oder dort als Frau angepöbelt wird, wenn man kurze Röcke trägt oder Hosen. Solche Unwichtigkeiten werden scheinbar fast überall so schwer gewichtet, dass sie das Zusammenleben der Menschen verhindern.

Welcher Gott oder welches Naturgesetz hat denn welche Menschen mit welchen Körperbedeckungen geschaffen, frage ich mich dann und komme immer wieder zu dem Schluss, dass wir doch unter den verschiedenen Hüllen alle gleich sind. Und dann ist es mir wieder so völlig egal, ob einer mit Krawatte, Schleiern oder grünen Haaren herumläuft. An verschiedenen Orten werden alle Verschiedenen dumm angestarrt und verachtet ihrer Äußerlichkeiten willen - und doch sind wir am Ende alle die gleichen müden Knochen, verwesen, werden zu Erde oder Asche.

Und all diese Götter, die keinen anderen akzeptieren wollen. Jeder von ihnen pocht angeblich auf sein eigenes Gotteshaus und sie werden errichtet in direkter Nachbarschaft und gegen die Nachbarn dann geschützt durch Stacheldraht und Waffen und durch Hass. Kein Gott kann das wollen. Kann nicht das Haus jedes Gottes immer nur das Herz des Gläubigen sein? Und all diese sinnlosen Kämpfe hätten ein Ende, wenn jeder seinen Gott bei sich und für sich hegen und in seinem Herzen mit ihm sprechen würde. Und alle Götter w&aum;ren unendlich erleichtert und hätten endlich alle erreicht, was sie wollen: Friede und Liebe unter den Menschen.

Nur einen schwankenden, wankelmütigen Christen kann es doch erschüttern, wenn neben ihm einer zu Allah betet. Jeder, der wirklich in seinem eigenen Glauben gefestigt und davon überzeugt ist, wird alle anderen akzeptieren und sich mit ihnen freuen darüber, dass auch sie einen gefestigten Glauben haben, der sie erfreut und ermutigt, auch wenn es ein anderer ist.

Ich spreche die gleiche Sprache und bin in der gleichen Religionsgemeinschaft aufgewachsen wie fast alle hier und manchmal fühle ich mich so elend, so ohnmächtig, abgestoßen und verachtet. Wie muss sich erst einer fühlen, der eine andere Sprache spricht und einen anderen Glauben hat, hier? Ich versuche es mir vorzustellen und empfinde den Schmerz, die Verachtung, diesen Hass. Und das in einem Sozialstaat, einem christlichen Land, einem katholischen Land. Manchmal wundert es mich nicht einmal mehr, dass hier christliche Nächstenliebe durch Verachtung bezeugt wird. Man versucht hier ja schließlich auch eine Resozialisierung durch Isolationshaft. Das ist wie mästen durch Nahrungsentzug. Denn alles, was hier fremd ist, wird ferngehalten, wird abgeschirmt und verbannt auf das nie etwas Unbekanntes bekannt werden kann.

Nun schließt mir völlig unkontrolliert und ungewollt die Inzucht in den Kopf. Solche Angst und Abscheu vor allem Fremden läßt ja auch nur zu, dass man sich innerhalb des bekannten, des familiären Kreises einander nähert. Und dann denke ich an die Rache der Natur und versuche mich damit zu trösten, dass sie es letztendlich noch schaffen wird, uns Toleranz und Humanität zu lehren. Sie zwingt uns alle, die gleiche Luft zu atmen, das gleiche Wasser zu trinken, den gleichen Boden zu betreten. Daran sollte jeder dieser Hasser, dieser Menschenverachter bei jedem Schritt denken, bis es ihn bei jedem Schritt, bei jedem Atemzug und jedem Schluck schüttelt und ekelt, weil vielleicht ein Andersfarbiger, Andersgläubiger, Anderssprechender, Andersdenkender das gleiche Stück Erde schon betreten hat, die gleiche Luft schon einemal ein- und ausgeatmet hat - dann wird er sich diesen Ekel bald abgewöhnen, weil er nicht mehr vorwärtskäme, ersticken und verdursten würde. Aus dieser Bewusstmachung müsste dann endlich eine erlösende Gleichgültigkeit erwachsen, ein "Na und" oder "Ist doch egal, welche Farbe er hat" oder "Ist doch ganz gleich, welche Sprache er spricht, wenn wir uns mögen, können wir uns auch so verständigen" oder "Ist mir einerlei, zu welchem Gott er spricht, solange dieser nicht den Hass lehrt und er in ihm einen Halt findet so wie ich in meinem."

Vielleicht wird uns ja die Natur bald so dezimieren, dass wir uns alle bunt durcheinander- und zusammenmischen müssen und werden, wenn wir fortbestehen wollen. Möglicherweise ist das dann das Jüngste Gericht und das Paradies zugleich. Dann könnte es doch möglich sein, eine Menschheit zu zeugen, fortzupflanzen und nicht Rassen, Religionen und Kulturen.

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